Uwe Banton

The Spirit of Oneness

Als Ergänzung zum Feature in RIDDIM 03/21 hier ein längerer Auszug aus dem Interview, das Werner Zips Ende April mit Uwe Banton geführt hat. Sie sprechen über das neue Album „Free Your Mind“, über Wahrheit, (Ver-)Weigerung und internationale Moralität. Text: Werner Zips

Uwe Banton ist zwar als Reggae-Artist zunächst ein Mann des Wortes, aber als bekennender Rastafari – „action speaks louder than words“ – auch ein Mann der Tat, der sich beispielsweise an einer Spendenaktion zur Erhaltung jener Kapelle in Aksum beteiligt, wo die Bundeslade aufbewahrt sein soll.

Im folgenden Interview, das sich im Laufe von über zwei Stunden immer mehr zum Reasoning entwickelt, spricht er nicht nur über sein neues Album, sondern auch über seine Livity als Rasta. Uwe lebt, denkt, handelt und singt Rastafari im Namen von Haile Selassie. Seine musikalische Inspiration geht auf Bob Marley, Peter Tosh, Bunny Wailer, Burning Spear und Culture zurück und führt an deren Ursprung: Haile Selassie I.

Im Kern vertritt er die Idee eines moralischen Universalismus, der es als Pflicht auffasst, Freiheit und Selbstbestimmung sowie „gleiche Rechte und Gerechtigkeit“ als Allgemeingut zur Geltung zu bringen. Oder wenigstens durch die eigene Energie und Lebensarbeit zu diesem Prozess beizutragen.

„Free Your Mind“ beginnt mit dem Tune „Ark of the Covenant“ (Bundeslade). Warum hast du dich für diesen Opener entschieden

In den drei großen Weltreligionen, Christentum, Judentum und Islam, den sogenannten Abrahamitischen Religionen, spielt die Bundeslade eine zentrale Rolle. Speziell in der äthiopisch-orthodoxen Kirche wirft man sich vor dem Tabot, einer geweihten Altartafel, nieder. Diese ist die symbolische Replika der Bundeslade. Das heißt, man wirft sich eigentlich vor den Zehn Geboten nieder. Diese Zehn Gebote der Bundeslade stehen damit für Gott. Dadurch wird das Wesen Gottes ausgedrückt. Deshalb sollten wir diese Zehn Gebote in unserem Herzen tragen. Unabhängig davon, wo die Bundeslade aufbewahrt wird. Doch für Rastas ist es bedeutsam, dass sie sich vermutlich in Äthiopien befindet. Deswegen beginne ich „Ark of the Covenant“ mit den Worten: „Some searching all over the place, while others are drifting into space – why keep searching when the truth is inside your heart?“ Wenn wir Gott und Gottes Gebot über alles andere stellen, dann darf es keine Kriege und keine Not mehr geben, weil wir uns dann diese Gebote zu Herzen nehmen und sie im täglichen Leben befolgen.


Dahinter steht eine enge Beziehung zu Haile Selassie, die sich durch dein gesamtes künstlerisches Schaffen und das neue Album zieht. Warum ist dir Haile Selassie so wichtig?

Ich bin nicht besonders christlich aufgewachsen. Meine Eltern waren keine fleißigen Kirchgänger. Bei uns zuhause wurde auch kein bestimmter Glaube gepredigt. Ich war schon Jahre lang Reggae-Fan, bis ich mich endlich aufgerafft habe, die Bibel zu lesen und dann im Buch der Offenbarung Kapitel 5, Vers 5, gelesen habe: „Siehe es hat gesiegt der Löwe aus dem Stamme Juda, die Wurzel Davids und ist würdig das Buch und die sieben Siegel zu öffnen.“ Da wusste ich bereits, dass dies die offiziellen Titel von Haile Selassie sind, dass Haile Selassie ein Nachkomme Davids ist und dass er auf dem Thron Davids sitzt, in Äthiopien. Daher war es für mich das Schlüsselerlebnis. Damals war es richtig schwierig Informationen über Haile Selassie zu bekommen. Mitte der 1980er gab es ja noch kein Internet. In der Buchhandlung oder der Stadtbibliothek gab’s vielleicht ein oder zwei Bücher. Dieses Wissen betrifft nicht nur Jamaikaner oder Menschen afrikanischen Ursprungs, sondern die gesamte Menschheit. Durch Reggae und Rastafari ist uns eine Plattform zum Dialog gegeben worden, die alle Menschen zusammenkommen lässt. Bob Marley hat mal gesagt: „Rastafari is the message for the unification of mankind.” Und wenn Bob Marley durch Europa getourt wäre und immer nur gesagt hätte, „Burn all you wicked people“, dann wäre er nicht zu jenem Bob Marley geworden, den wir heute kennen. Er ist mit „Rastaman vibration is positive“ gekommen und hat im Namen von Haile Selassie von Liebe gesungen, und das haben viele Menschen gespürt. Deshalb ist Haile Selassie für mich der Schlüssel zum Ganzen.

Steht damit auch deine Betonung der internationalen Moralität im Zusammenhang? Normalerweise steht das im Reggae nicht so sehr im Vordergrund.

Ja, Haile Selassie hat die Wichtigkeit der „International Morality“stark betont. Im Bewusstsein vieler Menschen spielt sie eine untergeordnete Rolle. Die Fokussierung liegt auf Geld, Ruhm und Macht. Aber wie kann sich die Menschheit mit all der Ungleichheit zufriedengeben? In Europa beschweren sich viele über „Flüchtlingsströme“ und blenden völlig aus, dass unser Wohlstand ja unmittelbar mit den Umständen und der Ausbeutung anderer Länder, Völker und Menschen verknüpft ist. Deshalb muss „International Morality“ wieder thematisiert und hochgehalten werden. Wir steuern auf eine vorhersehbare negative Entwicklung zu. Die Menschheit muss wieder zusammenfinden. Das ist die Message von Rastafari und der Ruf nach „International Morality“, ist dabei eminent wichtig.


„International Morality“ heißt für mich, die Eigeninteressen hinter die allgemeinen Interessen zurückzustellen.

Genau, Haile Selassie war historisch die Galionsfigur gegen den Faschismus und Äthiopien dessen erstes Opfer. Alles was er vor dem Völkerbund prophezeit hatte, ist eingetreten. Alle, die seine Aufrufe zur „Internationalen Moralität“ nicht hören wollten, haben verloren. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind viele seiner Forderungen letztendlich in die UN-Menschenrechtscharta und die Satzung der Vereinten Nationen eingeflossen. Ich glaube, dass die mächtigen Nationen nicht überleben können, wenn sie weiterhin einfach nur egoistisch agieren. Warum macht man sich überwiegend Gedanken darüber, wie man sich die Flüchtlinge vom Leib halten kann? Das ist eine unmenschliche Herangehensweise, um Probleme zu lösen. Will man ein Problem wirklich lösen, dann muss man das Problem bei der Wurzel angehen. Dadurch könnten die mächtigen Nationen – der Westen, Russland und China – so viel gewinnen. Wenn sie einsehen, dass die ungleiche Verteilung in der Welt das Hauptproblem ist. Der größte Teil des einseitigen Wohlstandes und Reichtums ist nun einmal in 500 Jahren Kolonialgeschichte zusammengeklaut worden und Menschen sind dafür versklavt worden. Wie lassen sich die Vorrechte der fünf ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrates der UN weiterhin begründen? Auf welcher Grundlage basiert das, wie Ras Elijah in seinem Buch „Mankind’s Last Hope“ kritisiert?


Du singst von „Ethiopia Rising“. Da könnte man einwenden, dass dich die Wirklichkeit überholt hat. Weil Äthiopien, nachdem der Song aufgenommen wurde, in einen Bürgerkrieg geschlittert ist, von dem man nicht viel erfährt, was sicher kein gutes Zeichen ist.

Für mich steht Äthiopien repräsentativ für das gesamte Afrika. Ich glaube, dass dieser gebeutelte und ausgebeutete Kontinent eine große Zukunft hat. Das meine ich mit „Ethiopia Rising“. Was wir derzeit sehen, davon bin ich fest überzeugt, wird nicht dauerhaft so bleiben. Auf meiner Äthiopien-Reise 2019 habe ich einen ganz besonderen Spiriterlebt; trotz aller Konflikte und Probleme. Ich hoffe, dass die Äthiopier*innen sich ihrer gemeinsamen Identität bewusst werden und nicht so sehr auf einzelne Ethnien fixiert bleiben. Diese taugen nicht als politische Ideologie. Seit der Abschaffung der Monarchie ist leider ein entscheidender Faktor der einenden Identität verloren gegangen.


Du warst auch in Südafrika. Wie war dort die Resonanz auf einen Reggae Artist aus Deutschland?

Das war eine sehr, sehr eindringliche Erfahrung. Unser Proberaum war in Soweto. Das hat mich im Vorfeld stark beschäftigt. Ich habe mich davor nie intensiv mit Südafrika befasst. Klar kenne ich die Geschichte von Nelson Mandela und Desmond Tutu und die wichtigsten Eckpunkte. Aber tatsächlich diese historischen Stätten zu besuchen und mit Menschen über die heutige Situation zu sprechen, war eine tiefe Erfahrung. In Johannesburg und Soweto siehst du überall diese Halden. Da haben sie mir erklärt, dass das alles der Aushub von den Goldminen ist. Diese Hügel beinhalten viel radioaktiven Staub. Wenn, wie so oft in Johannesburg, starke Winde wehen, verteilt der sich und bringt große gesundheitliche Probleme mit sich. Gleichzeitig bin ich so herzlich aufgenommen worden von Musikern, die teilweise zu der Band von Lucky Dube gehörten. Nach den Aufnahmen haben sie zu mir gesagt: „Uwe, you are Ubuntu!“ Ihre Herzlichkeit hat mich sehr berührt. Je länger ich darüber nachgedacht habe, hat sie mich dann andererseits wieder sehr traurig gemacht, weil ich mir dann immer wieder die Geschichte Südafrikas vor Augen halten musste. Sie wirft die Frage auf, wie Menschen sowas fertigbringen. Also andere Menschen, die so voller Liebe und so warmherzig sind, so brutal zu unterdrücken.

Dreadlocks bei Menschen mit weißer Hautfarbe sind ja in jüngster Zeit geradezu ein Symbol für „kulturelle Aneignung“ geworden. Nimmst du das wahr und wie gehst du als Rasta damit um?

Natürlich nehme ich das wahr. Zu meiner Anfangszeit existierte diese Vorstellung von kultureller Aneignung nicht. Vor 30 Jahren hat davon niemand gesprochen. Wenn du zum Beispiel Patois sprichst, weil du intensiv und eng mit Jamaikaner*innen Kontakt hast. Seit meiner Jugend war ich in jamaikanischen Familien integriert und wenn du in einer jamaikanischen Familie lebst, dann bist du quasi adoptiert. Da nimmt niemand daran Anstoß, wenn ich als Deutscher Patois spreche. Im Gegenteil freuen sich alle: „Wha, him talk like one a wi!“ Diese andere Entwicklung entstand erst in den letzten zehn oder zwanzig Jahren, verstärkt durch das Internet. Ich kann das alles nachvollziehen und verstehen und versuche diesen Haltungen mit Verständnis zu begegnen. Vor dem Hintergrund der historischen Beziehungen kann ich es niemandem verübeln. Oftmals lösen sich solche Situationen auf, wenn man in ein direktes Gespräch kommt. Es geht ja nicht darum, dass ich irgendwie leichtfertig Patois imitiere und so tue, als wäre ich nicht hier in Europa geboren oder wäre selber Afrikaner. Also so zu tun, als wäre meine eigene Geschichte, meine eigene Identität eine andere als die, die sie ist. Abgesehen davon, dass ich nun einmal Rasta bin. In meinem Bewusstsein hat es immer eine große Rolle gespielt, wofür Dreadlocks eigentlich stehen. Was bedeutet Rasta abgesehen von der Verehrung von Haile Selassie? Was ist das für eine Geschichte, was steckt dahinter? Da hat mich das Leben schon viel gelehrt. Ich weiß, wie ich mit Vorwürfen umzugehen habe. Ich würde also nie jemandem gegenüber aggressiv reagieren, der mir mit Ablehnung entgegentritt. Ich würde es eher bedauern oder schade finden. Es macht mich traurig, aber ich weiß, dass es Teil der Realität ist.

Wie stehst du zu dem Satz: „Reggae gehört Jamaika“? Und jeder, der meint, Reggae zu spielen, sollte Tantiemen an Jamaika zahlen.

Reggae ist meiner Meinung nach eine Musik- und Ausdrucksform. Wenn ich Texte schreibe, ist das meine Art und Weise, mich durch Musik auszudrücken. Ich habe Reggae nie so wahrgenommen, dass die Musik nur nah Jamaika gehört. Es wäre eine wirklich fiese Unterstellung, wenn man jetzt Künstlern, wie zum Beispiel Bob Marley unterstellen würde, dass er damals nur in Europa getourt ist, weil er Geld verdienen wollte. Also nicht nur ich, sondern die halbe Welt und auf jeden Fall alle die, die ihn lieben, nehmen ihm seine Message zu 100 Prozent ab. Ebenso wie den anderen Rasta Messengers. Reggae-Musiker zu sein und dazu noch Rastafari hat mich als Artist jedenfalls nicht gerade im Mainstream positioniert. Kunst ist etwas Universelles. Sie kann jeden ansprechen und gehört in dem Sinne nicht nur der einen Nation, aus der sie entspringt. Aber vom Ursprung her muss man Jamaika den Credit geben, Reggae primär aus den afrikanischen Wurzeln entwickelt zu haben.

Auf „Free Your Mind“ finden sich Textpassagen, die – sagen wir mal – ambivalent und vielleicht missverständlich sind, vor allem dein Bezug zu „Tell-lie-vision“ und im einzigen deutschsprachigen Tune, „Wir weigern uns“. Bei der derzeitigen Grundhaltung hinter jeder Äußerung gleich das Schlimmste zu vermuten, würde ich dich gerne nach deinen Intentionen und Bedeutungen fragen. Damit allerdings die Frage verbinden, wie du reagieren würdest, wenn der Applaus von der falschen Seite kommt? Zumal sich die „Diskursleiche namens Lügenpresse“ (Peter Kümmel in „Die Zeit“) offenbar nicht so leicht zurück ins Eisfach schieben lässt…

Es handelt sich um zwei verschiedene Songs, von denen du sprichst. Der eine heißt „Speak the Truth“, der andere ist „Wir weigern uns“. In „Speak the Truth“ singe ich: „Woke up this morning and I turn on the news, I can’t believe my eyes they are deceiving, manipulating right before the public eyes and politicians keep lying, issuing statements, falsifying, the truth they keep denying, this very state is terrifying.“ Dabei geht es mir nicht um die Medien als solches, sondern um Politiker*innen. Wenn ich die Nachrichten anmache, höre ich, wie sie teilweise Lügen verbreiten und manipulieren wollen. Das war also weniger Medienkritik, sondern Politikkritik.


Aber auch da will ich dich nach deiner Differenzierung fragen: alle Politiker*innen oder sind es bestimmte?

Nein, nein, natürlich auf keinen Fall alle. Wenn das so pauschalisierend klingt, dann vielleicht weil ich Pauschalisierungen anspreche, wenn Politik gezielt mit Ausgrenzungen arbeitet und Menschen mit verschiedenen Meinungen in Schubladen packt. Wenn man beispielsweise sagt: „Wir sind die Linken und wir vertreten diese Position, und die da, die vertreten andere Positionen, die unseren entgegenstehen.“ Was immer verhindert, dass man das Gegenüber von der „anderen Seite“ als Mensch wahrnimmt und sich damit die Chance vergibt, in einen unvoreingenommenen Dialog zu treten, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Es sind so gut wie nie versöhnende Töne zu hören. Kaum jemals wird ernsthaft der Versuch unternommen, mit dem politischen Gegner auf Augenhöhe zu reden. Man muss ja nicht einer Meinung sein, aber wenn man anderen Positionen nicht mit vernünftigen Argumenten beikommen kann, dann muss man sich doch selbst fragen, was ist denn an der eigenen Position so erhaben? Was ist daran so überlegen, wenn man es nicht schafft, Falsches im Dialog zu entlarven?


Ok, ich finde das Wortspiel von „Tell-Iie-vision“ unter Umständen treffend. Als jemand, der selbst seit Jahrzehnten Filme fürs Fernsehen produziert, fühle ich mich aber angesprochen und würde gerne wissen, wen du meinst. Wachst Du denn morgens auf und schaust Fox News?

(Lacht) Ich schaue definitiv kein Fox News. Im Ernst, ich schaue sehr gerne Dokus, auf Arte, 3sat und auch in den Öffentlich-Rechtlichen. Es gibt supergute Magazinformate. Also „Tell-Iie-vision“ klingt vielleicht zu pauschalisierend. Was ich eigentlich meine, ist die Betonung auf „don’t get lost“, also die Botschaft: Bildet euch eine eigene Meinung. Deswegen singe ich: „Don’t get lost in the internet and Tell-Iie-vision.“ Ich benutze selbst Internet, wir sprechen gerade per Zoom übers Internet. Aber wenn man sich da zu sehr hineinsteigert und nur noch in dieser Welt lebt, dann ist das ein Problem. Es gibt viele Menschen, die lost in „Tell-Iie-vision“ sind, die ziehen sich ihre Soaps rein, die glauben alles, hinterfragen nichts, was in den Nachrichten kommt und dagegen bezieht sich die Textzeile. Nehmen wir zum Beispiel die gegenwärtige Situation in Äthiopien, über die wir am Anfang gesprochen haben. Wenn ich mit Menschen aus Äthiopien rede, erklären sie mir, dass das Internet und die Sozialen Medien eine zentrale Rolle bei diesem Konflikt spielen. Leute werden beleidigt und gegeneinander aufgehetzt. Niemand kann wirklich nachprüfen, was stimmt und was nicht? Wenn so viele Gerüchte gestreut werden und die Gerüchteküche ständig am Kochen ist, kann das Internet das Ganze in Windeseile verbreiten.


Ok, aber für mich persönlich ist „Tell-Iie-vision“, wenn es nicht eingegrenzt wird, schon nahe bei „Lügenpresse“. ZDF und ARD-Journalist*innen werden physisch angegriffen. Meiner Meinung nach, weil sie ausgewogen berichten, also unterschiedliche Standpunkte aufzeigen.

Nun, da bin ich teilweise auch anderer Meinung. Ich bin nicht der Überzeugung, dass sie immer ausgewogen berichten. Aber wenn du sagst, „Tell-Iie-vision“ erinnert dich an „Lügenpresse“, dann möchte ich mich davon klar distanzieren. Fernsehen und auch Kino arbeiten nun mal mit Illusionen auf der Basis bewegter Bilder und mit Stimmungen als Instrument. Natürlich kann man das Medium an sich auch wunderbar dafür benutzen, wahrheitsgemäße Dokumentationen zu produzieren und zu verbreiten. Ich habe den Begriff „Lügenpresse“ nie verwendet und würde das auch so pauschal nicht tun.


In unserer unglaublich sensibilisierten Zeit ist das Schwarz-Weiß-Denken ohnehin weit verbreitet.

Für mich ist das auch den Sozialen Medien geschuldet. Ich äußere mich gerne kritisch. Aber in Sozialen Medien ist es fast unmöglich geworden, einen Diskurs zu führen. Weil viele so polarisiert sind, dass sie dann gleich Urteile fällen, so à la: ‚Der Uwe redet ja wie ein Querdenker.‘ Dann schaue ich mir das eine Weile an und muss dann irgendwann auch was dazu sagen, wie: „Leute, könnt ihr nicht mehr differenziert denken?“ Aber man erreicht damit gar nichts. Und ich frage mich mittlerweile echt, inwiefern Kritik überhaupt noch Sinn macht? Als Musiker habe ich seit über einem Jahr keinen Auftritt mehr. Ich kann mich auf der Bühne derzeit nicht ausdrücken, so wie ich es gerne möchte. Trotzdem habe ich ein öffentliches Profil und bin als öffentliche Person auf Soziale Medien angewiesen. Aber da bin voll der Trollerei ausgesetzt. Das macht keinen Spaß, raubt so viel Energie und geht zudem in die falsche Richtung, vor allen Dingen mit der Stimmung, die sich da aufbaut. Keiner möchte, dass es jemand in den falschen Hals bekommt. Aber die Leute sind so konditioniert, dass sie sofort gewisse Dinge hineininterpretieren, die aber von dir gar nicht so gewollt sind.


Dann lass mich mal fragen, wie „Wir weigern uns“ denn „gewollt“ ist? Es kam der Vorwurf, dass es zu undifferenziert ist, dass man nicht weiß, wer das „wir“ ist und wer die anderen sind. Wusste man bei Marley und seinem „We no know, how we and dem ah go work it out“ natürlich auch nicht. Also wer ist “wir”?

Meine Inspiration bei dem Song war: „We refuse to be what you wanted us to be, we are what we are, that’s the way it’s going to be.“ Ich sehe diese soziale Spaltung tatsächlich als das große Problem derzeit. Ich bin kein Anhänger einer Bewegung, außer der Rasta-Bewegung. Aber ich glaube, dass es legitim ist oder dass es legitim sein sollte, dass Menschen demonstrieren, wenn die Grundrechte eingeschränkt werden. Auch wenn das unter der Voraussetzung einer global ausgerufenen Pandemie geschieht. Da denke ich mir, hat jeder Mensch ein Recht dazu, sich zu äußern, wenn er meint, dass bestimmte Maßnahmen nicht richtig sind. Wenn dann gerade von Politiker-Seite mit dem Finger gezeigt und gesagt wird, das sind Covidioten, das sind Verschwörungstheoretiker, das sind Schwurbler, Aluhüte, also mit Begriffen umhergeworfen wird, die, meiner Meinung nach, eine Entmenschlichung nach sich ziehen, dann werden Menschen diffamiert und werden mit Begriffen tituliert, die sie entmenschlichen. Das heißt, sie werden dann nicht mehr wahrgenommen als Menschen, die ihre Meinung äußern wollen, sondern als irgendwelche Spinner, ja sogar gefährliche Menschen. Meine Botschaft bei dem Song speziell ist: Wir sollten uns weigern, uns spalten zu lassen. Ich kenne so viele Leute, die kritisch sind, was die politischen Maßnahmen angeht. Aber das sind mit Sicherheit keine Nazis und keine rechten Verschwörungstheoretiker oder irgendwelche Esoteriker. Wieso muss man den Leuten solche Bezeichnungen geben? Das ist nicht richtig und man stößt wirklich viele vor den Kopf. Überleg mal, wie viele Menschen ihre Existenz und finanzielle Lebensgrundlage verlieren. Ich gehöre dazu. Und diese Leute stößt man vor den Kopf und damit macht man nichts besser. Das führt vielmehr nur dazu, dass sich die Fronten immer mehr verhärten und die Spaltung immer weiter vorangetrieben wird. Und das ist meine Botschaft: Wir weigern uns so gespalten zu sein. Wir brauchen keinen globalen und keinen digitalen Totalitarismus. Das sind Entwicklungen, die im Hintergrund installiert werden. Die Digitalisierung wird schon seit Jahren gepredigt und soll jetzt vorangetrieben werden. Dass damit auch eine totale Überwachung einher geht und das auf weltweiter Ebene und dass davon globale Tech-Konzerne profitieren, das ist keine Verschwörungstheorie, das ist deren Geschäftspolitik. Ich möchte einfach, dass den Leuten das bewusst ist. Wir werden jetzt alle in eine Situation hineingetrieben, wo das als der einzige Ausweg oder die Lösung zu diesem Problem präsentiert wird. Aber damit sind große Gefahren verbunden und das möchte ich eigentlich mit dem Song aussagen.

Ich stimme dir jedenfalls zu, dass die Spannungen auch weltweit greifbar sind. Jeder gegen jeden, scheint die Devise.

Ja, das geht in alle Richtungen. Du wirst so schnell für einen Rechten oder sowas ähnliches gehalten, oder für „linksgrün versifft“, was ich da nicht alles schon an Begriffen gehört habe, alles ist so polarisiert; die Fronten sind so verhärtet. Auch deshalb kann ich nicht aufhören, Musik zu machen. Die Musik hat meiner Meinung nach immer noch diese einende Kraft. Wenn ich drüber nachdenke, waren eigentlich die most powerful Momentsin meinem Leben, wenn bei einem Reggae-Konzert dieser „Spirit Of Oneness“ herrschte. Wenn Menschen, egal aus welchen Lebensbereichen, unabhängig von ihrer Herkunft und Religion, sich eins fühlen. Das gibt es bei keiner politischen Veranstaltung. Da hat Reggae, oder allgemein Live-Musik, eine so große Kraft, etwas Positives zu bewirken. Da dies derzeit nicht stattfinden kann und sich alles auf Social Media beschränkt, entstehen so viele Missverständnisse. Du blickst den Leuten nicht ins Gesicht, du spürst deren Energie nicht und sie spüren deine Energie nicht, greifen sich dann aber einzelne Textpassagen heraus und pflücken die auseinander. Wenn Musik politisch missbraucht wird, kann sie auch Negatives bewirken.

Das ist ein wichtiger Gedanke. In nächster Zeit, in den nächsten Jahren, wird wohl auch der „Spirit of Oneness“ unter Druck kommen, wenn ich die Zeichen der Zeit richtig lese. Identitätspolitik kann auch Reggae spalten. Viele scheinen Teilungen und Trennungen geradezu anzustreben. Eine ethnische oder gar „rassische“ Separation wäre womöglich das Ende von Reggae, zumindest in seiner bisherigen Dimension. Wenn alle Deutschen, Italiener, Japaner schief angeschaut werden, weil sie Reggae spielen, so als hätten sie etwas gestohlen. Sogar in China gibt’s Reggae, in Neuseeland, auf den indonesischen Inseln, in ganz Afrika sowieso.

Das wird deswegen nicht passieren, weil der „Spirit of One Love“ stärker ist im Reggae. Ja, es wird einzelne geben, die solche Positionen vertreten. Aber das wäre, wie du sagst, das Ende. Das wäre das Ende. Das entspräche nicht mehr dem Geist von Reggae. Aber ich sehe auch den Trend, ich beobachte das auch. But I’m confident in the victory of good over evil.

Eine große Schwierigkeit ist, dass diese Spaltung teilweise aus Schuldgefühlen herrührt, die eigentlich empathisch sind. Es geht um die Überwindung von Kolonialismus und Rassismus in Solidarität mit Bewegungen wie „Black Lives Matter“. Aber die Kategorien des Rassismus und des Kolonialismus scheinen manche mit neuen Vorzeichen übernehmen zu wollen. Also Kriterien wie Hautfarbe und Herkunft als notwendigerweise trennende Elemente neu zu definieren. Insofern sind die Kategorien zwar nicht rassistisch, aber gewissermaßen „rassinfiziert“ – vom Virus des Rassismus befallen.

Ja genau. Interessanterweise sind es oft Leute, die Reggae und Rastafari nicht kennen und verstehen, die sowas vertreten. Oder die einfach sagen, Rastafari ist per se nur ein Black Liberation Movement. Was Rastafari ja auch ist. Aber darüberhinaus ist es noch etwas viel Größeres. Wenn man Rastafari sagt, dann sagt man Haile Selassie und Haile Selassie hat gesagt: „Until the color of a man‘s skin is of no more significance than the color of his eyes…”. Oder: „We must become something we have never been and for which our education and experience and environment have ill-prepared us. We must become bigger than we have been: more courageous, greater in spirit, larger in outlook. We must become members of a new race, overcoming petty prejudice, owing our ultimate allegiance not to nations but to our fellow men within the human community.“

Uwe Bantons Album „Free Your Mind“ ist bei RastaYard Records erschienen.